Samstag, 17. August 2013


 
Im Land der Dichter und Täuscher
Süddeutsche Zeitung vom 06.07.2010 2010-07-06 10:41:36
Von André Weikard


Das Geschäft mit der Eitelkeit: Mit dubiosen Praktiken ködern sogenannte Zuschuss-Verlage literarische Amateure. Dichterruhm zum Selbstkostenpreis.

Herr Petersen geht seit Stunden von Messestand zu Messestand. Die Füße tun weh, die Beine werden schwer. Aber das Manuskript in seiner Tasche will ihm niemand abnehmen. Keiner von den geschäftigen Lektoren hat Zeit, ihm zuzuhören. Alle winken ab: "Schicken Sie uns ein Exposé." Das hat Herr Petersen längst getan. Zurück kamen nur Standardbriefe. Seine Memoiren, man bedaure, passten nicht ins Verlagsprogramm. Manchmal gab es auch gar keine Begründung.

Herr Petersen ist schon auf dem Weg zum Ausgang, als ihm eine junge Frau ein Schälchen mit Konfekt reicht: "Greifen Sie zu." Die freundliche Dame stellt sich als Lektorin des August-von-Goethe-Verlags vor. Und zu seiner großen Überraschung erfährt Herr Petersen: Dieser Verlag sucht Autoren. Stellwände und Plakate am riesigen Messestand verkünden es. Der Amateur-Autor lässt seine Mappe und seine Visitenkarte am Stand, nimmt noch ein Stück Schokolade und macht sich gut gelaunt auf den Heimweg.

Nichtssagende Floskeln


Nur Tage später erreicht ihn die erhoffte Nachricht: Die "Lektorenkonferenz" habe "eine klare Entscheidung" getroffen: Die Veröffentlichung seines Manuskripts werde befürwortet! Herr Petersen greift sofort zum Telefonhörer. Er vereinbart einen Termin im Verlag. Das Gutachten, das man ihm vorliest, ist voll des Lobes: "Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet, individuell gestaltet und sehr authentisch.

Der Ton der Darstellung ist (...)von hoher sprachlicher Qualität und der stilistische Reichtum der einzelnen Episoden zielt auf eine breite Leserschaft. Aus diesem Grund haben wir dieses Werk zur Veröffentlichung empfohlen." Was Herr Petersen noch nicht weiß: das Manuskript, das die Lektorin des August-von-Goethe-Litera- turverlags da anpreist, hat sie nicht gelesen. Das vermeintlich fachliche Gutachten ist aus nichtssagenden Floskeln zusammengeschustert.

Warum aber sollte eine Lektorin einem Autor einreden wollen, sein Manuskript, möglicherweise ein schlechtes, zu veröffentlichen? Weil sie am Erfolg des Buches gar nicht interessiert ist. Der August-von-Goethe-Verlag ist ein sogenannter Zuschussverlag. Das Geschäftsmodell sieht vor, dass der Autor die Kosten für Lektorat, Erstauflage und Vertrieb vorfinanziert. Der Termin, zu dem der Verlag geladen hat, ist eine Farce.

"Auf der Suche nach den Glücksböhnchen"


Auf dem Tisch liegen drei Verlagsangebote. Zwischen 6144 und 8736 Euro soll der Autor, je nach Variante, zahlen, damit sein Werk in Druck geht. Die Autoren, das sind Pensionäre, die wie Herr Petersen ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben haben; Frauen, die über Engel und Nahtoderfahrungen berichten; oder Großväter, die ein Kinderbuch für ihre Enkel verfasst und illustriert haben.

Ihre Bücher heißen "Eddie: Erlebnisse eines Cocker Spaniels" oder "Auf der Suche nach den Glücksböhnchen: Leben mit Brustkrebs". Verlegt wird so ziemlich alles, solange der Autor die "Publikationskosten" aufbringt. Das Geld, so suggeriert das Angebot, werde man wieder einnehmen. Der August-von-Goethe-Verlag rechnet vor: Bei einer verkauften Auflage von 5000 Exemplaren betrage das Autorenhonorar satte 16200 Euro.

Damit der Verkaufserfolg gelingen kann, verspricht der Verlag, sich ordentlich ins Zeug zu legen. Das Werk werde auf den Buchmessen in Frankfurt, Leipzig, Basel, Wien, London und, ja, "evtl. New York" vorgestellt. Es sind "Anzeigen in der Zeit mit Abbildung des Buches und evtl. Fotoportrait von Ihnen" möglich. Das alles ist aber, gibt der Verlag zu, "aus Kostengründen nur teilweise zu empfehlen". Denn die Kosten übernimmt auch hier der Autor.

Aber wem die Anzeige in der Zeit zu teuer komme, der könne auf einen TV-Auftritt im "Deutschen Literaturfernsehen" setzen. Das ist eine amateurhafte Internetseite, die 15-minütige Autoren-Clips präsentiert. Kostenlos ist der Auftritt im "weltweiten Internet" nur, wenn der Autor das Filmchen selbst aufnimmt. Wer sich beim Lesen filmen lässt, muss 360 Euro "einmaligen Selbstkostenpreis" berappen. Das alles steht nicht im Vertrag, sondern ist nur auf Nachfrage zu erfahren. Genau hinzuschauen lohnt sich auch noch bei anderen Punkten des obskuren Verlagsangebots.

Das Deckblatt, das eine Zusammenfassung der wichtigsten Vertragsinhalte enthält, vermerkt etwa die Gesamtauflage des Titels sei "unbeschränkt". Tatsächlich ist aber eine "rasch zu druckende Startauflage von z. B. 300 Stück" vorgesehen. Das spare die "hohen Lagerkosten". Nachgedruckt wird erst nach Abverkauf. Wer jetzt aber glaubt, wenigstens diese 300 Exemplare gehörten dem Autor - er hat ja schließlich mehrere tausend Euro dafür bezahlt -, der irrt. Der generöse Verlag gewährt dem Autor zwar einen Rabatt auf seine eigenen Bücher von 50 Prozent, dafür bekommt er aber im "preisgünstigen Vorzugsmodell" für die ersten tausend verkauften Exemplare überhaupt kein Honorar.

Wer aber unterschreibt so einen Vertrag? Tatsächlich erscheinen allein in der Frankfurter Verlagsgruppe, zu der auch der August-von-Goethe-Verlag gehört, nach eigenen Angaben jährlich über 300 Titel. Über die Jahre hat die Gruppe von Pseudoverlagen 3000 Autoren geworben und Millionen umgesetzt. Und damit der Verlag weiter Geld verdient, müssen ständig neue Autoren gefunden werden. Zu diesem Zweck wird allerlei Aufwand betrieben.

Die Verlage der Gruppe haben sich klangvolle Namen wie "Weimarer Schiller-Presse" oder "Fouqué Verlag" gegeben. Außerdem wird mit dem Verlagssitz im Großen Hirschgraben in Frankfurt geworben, der sich in direkter Nachbarschaft zum Goethe-Haus befinde. Wer dann aber wie Herr Petersen um ein Treffen mit seinem Lektor bittet, der wird ins benachbarte Offenbach geladen und findet über den Hinterhof zum Klingelschild. Angeblich wurde das Lektorat aus Platzgründen hierher ausgelagert.

Das Gutachten muss positiv ausfallen


Im Fenster des Backsteingebäudes verkündet auch hier ein Plakat: "Verlag sucht Autoren". Im Flur wird der angehende Autor gegenüber von einem Flipchart platziert, auf dem unter "Heute zu Gast im Verlag" sein Name steht. Nach gebührender Wartezeit wird er von einer Lektorin in den Konferenzsaal geführt. Dort erwarten ihn eine Vertriebsmitarbeiterin und ein Jurist aus der Geschäftsleitung. Nur der Lektor, der das Manuskript angeblich gelesen hat, der fehlt. Im Urlaub sei er, sagt seine Vertretung, und versichert, sie sei mit dem Gutachten vertraut. Ausgehändigt bekommt Herr Petersen das Loblied auf das eingesandte Manuskript nicht. Für den Ausdruck fällt eine Gebühr an: 60 Euro.

"In zehn Minuten" habe er solche immer gleichen Standardgutachten aufgesetzt, verrät ein ehemaliger Mitarbeiter des Verlags. Die Vorgabe war klar: Das Gutachten muss positiv ausfallen. Mit einem negativen Urteil würde der Pseudoverlag sich seine Kundschaft abspenstig machen. An den Vertrag, den der Autor schon zugesandt bekommen hat, ist eine Empfehlung des "Bund Deutscher Schriftsteller" angeheftet, die bestätigt, der Bund habe "beigefügten Verlagsvertrag geprüft und empfiehlt ihn ausdrücklich mit Verleihung seines Qualitätssiegels".

Tatsächlich hat der Bund Deutscher Schriftsteller nichts mit dem seriösen "Verband deutscher Schriftsteller" zu tun. Sehr wohl ist er aber personell eng mit der Frankfurter Verlagsgruppe verflochten. Wer glaubt, seine Hauptaufgabe bestehe darin, das fragwürdige Geschäftsmodell der Gruppe zu bewerben und Scheinzertifikate auszustellen, liegt vermutlich nicht ganz falsch.

In Wahrheit aber werden hier Lose verkauft, für die es

keine Gewinne gibt. Lose, die viel zu teuer sind. Und immer wieder finden sich Käufer. Die Verlagsgruppe hat sich längst nicht nur einen Autorenbund geschaffen, sondern einen eigenen Mikrokosmos in der Verlagsbranche. Da gibt es etwa die "Brentano-Gesellschaft", die eine Literaturzeitschrift, literaturmarkt.info, unterhält, bei der Autoren gegen eine "Redaktionsgebühr" (195 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer) die Rezension zum eigenen Buch bestellen können. Außerdem mit den Verlagen verbunden ist die "Cornelia Goethe Akademie", wo im Fernstudium das Schreiben eingeübt werden kann. Der Kurs bei den "Akademielektoren" mit zwölf Übungsheften kostet 1980 Euro.

Die Illusion


Und die Maskerade funktioniert prächtig. Viele lassen sich von all den hochtrabenden Namen blenden. Im Lektorat seien, so der ehemalige Verlagsmitarbeiter, sogar Briefe mit der Anrede "Sehr geehrte Frau Cornelia Goethe" eingegangen. Tatsächlich hat der Verlag natürlich ebenso wenig mit der Familie Goethe zu tun wie die "Weimarer Schiller-Presse" mit dem gleichnamigen Dichter oder der Stadt.

Zum Imponiergehabe der Verlagsgesellschaft gehört, dass noch eine ganz andere Genealogie inszeniert wird, die des Gründers des Zuschuss-Imperiums. "Altverleger" Markus von Hänsel-Hohenhausen, der sich zuweilen auch "Donatus Prinz von Hohenzollern" oder "Leopold von Emden" nennt, behauptet, er führe den "historischen Dienst seiner Familie an der Literatur" fort. Wer das bestreitet, wird verklagt. Über hundert Verfahren gegen Kritiker hat der Pseudo-Verleger geführt. Seine Einwände gegen die Bezeichnung "Pseudoverlag" und "nicht-adliger Namensträger" wurden von den Gerichten zurückgewiesen.

Dem Geschäftsmodell selbst ist juristisch aber nicht beizukommen. Denn den gebauchpinselten Möchtegern-Schriftstellern wird ja nichts versprochen. "Gedichte verkaufen sich meistens keine 100000 Mal" hört der Anfänger im Gespräch. Das Geschäft mit der Eitelkeit brummt, die Branche kennt die schwarzen Schafe auch als "Vanity- Verlage".

Die Brentano-Gesellschaft schreibt regelmäßig Literaturwettbewerbe aus, um Autoren zu ködern. Für die "Frankfurter Bibliothek des Zeitgenössischen Gedichts" etwa. Herausgeber ist Julius Graf von Hirschsprung. Auch das ist ein Pseudonym des Pseudo-Verlegers von Hänsel-Hohenhausen. Im Jahr 2010 stehen den Autoren mehrere Themen für ihre Einsendung zur Auswahl. Eines davon heißt "Die Illusion".

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